09.10.2011

Kleine Eroberer - Wie Babys die Welt entdecken


Dokumentation Phoenix 2011


Kinder sind von Natur aus neugierig und lernen beinahe wie von selbst - vorausgesetzt sie wachsen in einer Umgebung auf, die sie dazu anregt und in der sie sich sicher fühlen. Dazu zählen vor allem Bezugspersonen, die sich für sie und ihre Lernfortschritte auch wirklich interessieren. Doch häufig fehlt Kindern eine solche sichere Bindung.



Englisch für Säuglinge, Schach-Training im Buggy, Rhetorik-Kurse für Zweijährige - die Lebenswelt von Kleinkindern hat sich in Deutschland seit dem Pisa-Schock drastisch verändert. Die Beschleunigung des Lebens und der Wettbewerb um die besten Startbedingungen machen auch vor dem Kinderzimmer nicht mehr halt. Je früher, desto besser, nur keine "Zeitfenster" verpassen - das ist der neue Bildungsimperativ für Eltern. Der Zwang zur Frühförderung setzt Eltern und Kinder gleichermaßen unter Druck und führt sie in eine Sackgasse.

Denn Lernen kommt vor allem durch Liebe. Das klingt zwar altmodisch, ist aber wissenschaftlich vielfach erwiesen. Zugleich ist diese Erkenntnis brisant, denn ein Drittel der deutschen Kinder bekommt nicht mehr das, was sie eigentlich bräuchten: eine "sichere Bindung". Ihnen fehlen emotionale Nähe, Zuwendung und stabile soziale Beziehungen. Doch ohne persönliche Zuwendung lernen Kinder deutlich schlechter - darin sind sich Neurobiologen, Entwicklungspsychologen und Bildungsforscher einig.

In Beobachterposition: Noch sind Spielsachen für Simon interessanter, als das Gegenüber.
Ohne Liebe fällt nicht nur das Lernen schwerer, auch die Entwicklung von Empathie und späterer Bindungsfähigkeit hängt sehr stark davon ab, welche Zuwendung Kinder besonders in frühen Jahren erfahren. Schon 2005 zeigte eine Studie von Forschern der Universität Wisconsin, dass sich der Hormonhaushalt im Gehirn von Babys dauerhaft verändert, wenn sie nicht genug Zuwendung bekommen. Dadurch kann es ihnen später dann selbst schwerer fallen, liebevolle Bindungen zu anderen Menschen aufzubauen.

Es ist erstaunlich, welch ungeheure Lernleistungen Kinder in ihren ersten drei bis vier Lebensjahren vollbringen können. Sie wollen die Welt erkunden und erobern, sie wollen mit ihrem Gegenüber in Kontakt treten - und zwar vom ersten Atemzug an. Lange dachte man, dass bewusstes Kommunizieren erst mit der Sprache beginnt. Doch die vorsprachliche Kontaktaufnahme ist der Anfang aller Kommunikation und allen Lernens. Bereits mit wenigen Monaten weiß ein Säugling sein herzzerreißendes Weinen gezielt einzusetzen. Er hat den Zusammenhang von Ursache und Wirkung verstanden.

Auch wenn Kinder bereits sprechen können, läuft immer noch ein Großteil des Austauschs mit den Bezugspersonen über nonverbale Kommunikation ab. Hier spielen die viel zitierten Spiegelneuronen eine zentrale Rolle, jene Nervenzellen, die dem Menschen das Lernen durch Beobachtung ermöglichen. An dieser Stelle kommen wieder die Eltern ins Spiel: Imitation ist nur möglich, wenn das Kind sich geborgen und sicher fühlt.

Der Film von Doris Metz erzählt in Alltagsbeobachtungen und kleinen Versuchsanordnungen die wichtigsten Stadien der kommunikativen Entwicklung hin zum Ich. Und die ist anrührend und ungeheuer spannend mitzuerleben - nicht nur für Eltern, sondern für alle, die mehr über sich wissen wollen. Erst wenn ein Kleinkind sich selbst erkennt und "Ich" sagen kann, kann es sich in andere Menschen hineinversetzen und Freundschaften schließen. Die Dokumentation kommt ohne Experten aus - ihre Stars sind ein knappes Dutzend Babys und Kleinkinder: alles kleine Eroberer einer großen Welt.

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